Inklusives Design – ein Gewinn für Marken und Gesellschaft

  • 6 mins.
  • Enrico Kunze

Zusammenfassung

Inklusives Design sorgt dafür, dass Produkte und Services von möglichst vielen Menschen genutzt werden können – unabhängig von Fähigkeiten oder Lebensrealität. Der Artikel zeigt, warum das kein Kompromiss ist, sondern der Schlüssel zu mehr Teilhabe und besseren Nutzererlebnissen.

Design ermöglicht Teilhabe – oder verhindert sie.

Design ist der zielgerichtete Prozess, Informationen und Funktionen in eine nutzbare, wahrnehmbare Form zu übertragen. Es entscheidet darüber, ob wir Informationen verstehen, Produkte nutzen oder mit anderen in Kontakt treten können. Doch oft wird Gestaltung aus einer eingeschränkten Perspektive gedacht – mit Folgen für Millionen von Menschen. Inklusives Design setzt genau hier an. Es sorgt dafür, dass Produkte, Dienstleistungen und digitale Angebote so gestaltet sind, dass möglichst viele Menschen sie nutzen können – unabhängig von Fähigkeiten, Herkunft oder individuellen Lebensrealitäten. Wenn dein Design nicht inklusiv ist, arbeitest du selektiv. Du schließt Menschen aktiv von Teilhabe aus. Und denk dran: Teilhabe ist ein verdammtes Grundrecht!

Dabei geht es hier um viel mehr als nur technische Barrierefreiheit im klassischen Sinne. Inklusives Design ist ein demokratisches Prinzip, das zum Ziel hat, Menschen unabhängig von ihren Voraussetzungen Zugang und Teilhabe zu ermöglichen.

Teilhabe ist kein Luxus. Es ist ein verdammtes Grundrecht.

Definition: Was ist inklusives Design?

Inklusives Design ist ein Designkonzept, bei dem bereits in der Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen Menschen mit verschiedenen Fähigkeiten, Hintergründen und Bedürfnissen von Anfang an mitgedacht werden. Es erfordert eine grundlegende Denkweise, die während des gesamten Designprozesses berücksichtigt werden muss. Ziel ist es, ein gleichwertiges Nutzungserlebnis für möglichst alle zu schaffen und jegliche Art von Ausgrenzung zu vermeiden.

Diese Herangehensweise geht über reine Barrierefreiheit hinaus. Barrierefreiheit konzentriert sich darauf, Hindernisse abzubauen, die Menschen mit Behinderungen von der Nutzung ausschließen.  Inklusives Design umfasst zusätzlich Aspekte wie Sprache, Diversität, Neurodiversität oder unterschiedliche Nutzungssituationen in diversen Umgebungen. Auf diese Weise entsteht ein ganzheitliches Konzept, das alle einschließt.

Warum ist inklusives Design wichtiger denn je?

Demokratische Gesellschaften basieren auf der Idee, dass jede:r am sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben teilhaben kann. Doch Gestaltung entscheidet darüber, wer tatsächlich Zugang hat. Wer nicht mitgedacht wird, bleibt ausgeschlossen.

Und das betrifft nicht nur Einzelne, sondern enorme Teile der Gesellschaft:

  • Über 1,3 Milliarden Menschen weltweit leben mit einer Behinderung – das entspricht etwa 16 % der Weltbevölkerung. Fehlende Barrierefreiheit bedeutet für sie oft: keine Nutzung, kein Zugang, keine Teilhabe. (WHO)
  • Je nach Definition gelten bis zu 20 % der Menschen als neurodivergent – das heißt, ihr Denken, Lernen oder Kommunizieren unterscheidet sich vom Standard. Komplexe Bedienkonzepte oder unstrukturierte Inhalte machen vielen den Zugang unnötig schwer. (Neurodiversity Hub)
  • Mindestens 20 % der Weltbevölkerung haben Schwierigkeiten mit Lesen und Textverständnis. Zu kleine Schriftgrößen, Fachjargon oder komplizierte Formulierungen sind Hürden, die sich vermeiden lassen. (Dyslexia International)
  • Die Weltbevölkerung altert – bis 2050 wird jeder vierte Europäer über 65 Jahre alt sein. Seh-, Hör- und Motorikeinschränkungen nehmen mit dem Alter zu. Trotzdem werden viele digitale und physische Produkte immer noch nur für junge, technikaffine Nutzer:innen entwickelt. (Eurostat)

Diese Gruppen sind aber bei weitem keine Minderheiten – sie machen zusammen weit über 50 % der Weltbevölkerung aus. Inklusives Design bedeutet nicht, für eine Minderheit zu optimieren, sondern für die Gesellschaft als Ganzes.

Die Grundlagen und Prinzipien des inklusiven Designs

Der Grundsatz inklusiven Designs lautet: Designe für die unterschiedlichsten Bedürfnisse, damit das Resultat für möglichst viele Menschen funktioniert. Daraus leiten sich zentrale Prinzipien ab, die in jeder Produktentwicklung oder Dienstleistungsgestaltung Anwendung finden sollten.

Vielfalt als Normalität

  • Zeige im Design echte Vielfalt (z. B. bei Bildern und Texten).
  • Nutze inklusive Sprache (z. B. Gendern mit Doppelpunkt).
  • Dein eigenes kognitives, physiologisches, mentales oder neurobiologisches Setting ist niemals das Maß aller Dinge. Das solltest du immer im Hinterkopf haben.

Barrieren reduzieren

  • Schaffe klare Strukturen: übersichtliches Layout, intuitive Navigation, eindeutige Labels.
  • Vermeide komplizierte Formulierungen oder Fachjargon.
  • Vermeide Logikbrüche oder inkonsistente Designpatterns.
  • Der digitale Raum ist – genau wie die „reale“ Welt – ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen. Mache dir bewusst, dass Barrieren nicht immer sicht- oder greifbar sein müssen.

Flexibilität in der Nutzung

  • Biete verschiedene Interaktionsmöglichkeiten an: Maus, Touch, Tastatur, Spracheingabe – nicht jede:r klickt mit der Maus oder wischt mit dem Daumen.
  • Erlaube das Anpassen von Schriftgrößen, Kontrasten oder Layouts – feste Vorgaben helfen nur denen, die zufällig damit klarkommen.
  • Deine Wahrnehmung, deine Fähigkeiten, deine Vorlieben – sie gelten für genau eine Person. Inklusives Design heißt: Optionen statt Einheitslösung. Gib Menschen die Kontrolle zurück. Denn Flexibilität ist ein Schlüssel zu echter Teilhabe.

Echte Einbeziehung

  • Design ohne Feedback ist wie Kochen ohne Probieren. Inklusives Design braucht echte Stimmen mit ihren jeweils ganz eigenen Perspektiven – von Anfang an.
  • Binde Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven, Fähigkeiten und Bedürfnissen aktiv in deinen Prozess ein. Nicht als Alibi, sondern als gleichwertige Co-Creators.

Gutes Design beginnt nicht bei der Oberfläche. Es beginnt bei der Frage: Wer wird hier mitgedacht – und wer nicht? Inklusives Design heißt, früh zu testen, ehrlich Feedback einzuholen und mutig zu iterieren. Nicht einmal. Immer wieder.

Von Haltung zu Handlung: So wird dein Design inklusiv.

Damit dein Design nicht nur gut aussieht – sondern echte Teilhabe schafft.

Fragen statt vermuten.

Bedürfnisse klären, Barrieren identifizieren, echte Perspektiven einbinden – und zwar von Anfang an. Viele Designentscheidungen basieren auf Annahmen – darüber, wie Menschen denken, was sie brauchen oder wie sie sich verhalten.

Das Problem: Wer nur aus der eigenen Perspektive gestaltet, übersieht Barrieren, die andere täglich erleben. Inklusives Design beginnt deshalb mit echter Neugier. Statt zu raten, fragen wir nach. Statt Hypothesen zu pflegen, holen wir Stimmen rein, die sonst zu oft fehlen. Ob über Umfragen, Interviews oder Beobachtungen: Wer zu Beginn breit fragt, designt später gezielter – und inklusiver.

Prototypen bauen.

Früh. Schnell. Roh, aber konkret. Prototypen sind keine hübschen Präsentationen, sondern Werkzeuge zum Lernen. Je schneller du etwas Testbares auf die Beine stellst, desto schneller bekommst du Feedback aus der echten Welt – nicht aus der Filterblase deines Teams.

Ausgrenzung erkennen und beheben.

Ausgrenzung versteckt sich oft in den Details. In der Wortwahl. In der Bildsprache. In der Logik von Abläufen. Um diese Ausgrenzungen zu erkennen, hilft es, bewusste Reviews mit vielfältigen Teams durchzuführen. Als Beispiel: Ein Button mit der Aufschrift „Weiter“ statt einer klaren, funktionalen Beschreibung wie „Daten absenden“ ist für viele ein Rätsel.

Nutze Checklisten, hinterfrage Bildsprache, Sprache und Abläufe. Wo sind Menschen nicht mitgedacht? Und was brauchst du, um diese Hürden systematisch zu beseitigen?

Standards hinterfragen.

Viele UX-Konventionen funktionieren gut. Aber wenn dein Ego mehr Raum bekommt als deine Nutzer:innen, wird aus guter UX schnell exklusive Selbstverwirklichung. Inklusives Design heißt: Muster hinterfragen, blinde Flecken erkennen – und den Mut haben, auch funktionierende Systeme zu öffnen, um damit mehr Menschen abholen zu können.

Weiterdenken.

Nach dem Launch ist vor der Optimierung. Nur wer zuhört und nachjustiert, entwickelt ein Erlebnis, das für möglichst viele funktioniert.

Inklusives Design ist kein Ziel. Es ist eine immer währende Weiterentwicklung. Wer stehen bleibt, lässt Menschen zurück und verliert genau die, die längst dazugehören sollten. Für Marken, die sich zukunftsfähig aufstellen wollen, ist inklusives Design damit the only way to go. Ein verbessertes Nutzungserlebnis für alle schafft Klarheit, Benutzerfreundlichkeit und Flexibilität – für alle.

FAQ: Häufige Fragen zum Thema inklusives Design

Was ist inklusives Design in einem Satz?

Inklusives Design heißt, Produkte und Dienstleistungen so zu gestalten, dass möglichst alle Menschen – unabhängig von Fähigkeiten oder Umgebung – sie nutzen können.

Warum ist inklusives Design für Unternehmen relevant?

Weil sie damit eine größere Zielgruppe erreichen, rechtliche Vorgaben erfüllen und ihre Marke als innovativ und verantwortungsvoll positionieren.

Was ist der Unterschied zwischen Barrierefreiheit und inklusivem Design?

Barrierefreiheit konzentriert sich auf den Zugang für Menschen mit Behinderungen, während inklusives Design zusätzlich diverse Bedürfnisse (z. B. Sprache, Alter, Neurodiversität) berücksichtigt. Inklusion bedeutet, dass bereits im Entwicklungsprozess Barrieren vermieden werden und die Vielfalt der Nutzererfahrungen berücksichtigt wird.

Ist inklusives Design nur was für digitale Angebote?

Nein. Inklusives Design betrifft alle Berührungspunkte zwischen Mensch und Marke – analog wie digital. Auch physische Produkte, Räume und Dienstleistungen profitieren davon: Zum Beispiel durch stufenlose Zugänge, kontrastreiche und verständliche Beschilderungen, leicht greifbare Bedienelemente oder multisensorische Orientierungshilfen. Ein stimmiges, barrierearmes Erlebnis entsteht nicht erst am Bildschirm, sondern beginnt beim Eingang, geht über Printmaterialien bis hin zur Service-Kommunikation. Wer ganzheitlich denkt, gestaltet überall Zugang – nicht nur online.

Was bedeutet Neurodiversität im Kontext inklusiven Designs?

Neurodiversität beschreibt die natürliche Vielfalt neurobiologischer Settings und Arten der Reizverarbeitung. Neurodiversität schließt Neurodivergenzen ein, darunter z. B. Autismus, ADHS, Dyslexie oder Hochsensibilität. Inklusives Design berücksichtigt, dass Menschen Informationen unterschiedlich aufnehmen, verarbeiten und unterschiedlichen Fokus setzen. Es schafft Bedingungen, die möglichst vielen neurobiologischen Settings gerecht werden – durch klare Struktur, reduzierte Ablenkung, anpassbare Interfaces und konsistente Abläufe. Neuroinklusives Design ist kein Spezialfall – es ist ein Zeichen guter Gestaltung: durchdacht, menschenzentriert und robust.

Warum sollten wir für eine vermeintlich kleine Zielgruppe so viel Aufwand betreiben?

Weil diese vermeintlich kleine Zielgruppe in Wahrheit riesig ist: Über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt mit einer Form von Einschränkung – sei sie physisch, kognitiv, sprachlich oder situativ bedingt. Inklusives Design optimiert nicht für eine Minderheit, sondern für die Realität. Und neben dem gesellschaftlichen Impact hat das auch markenstrategische Vorteile: Wer inklusiv gestaltet, spricht mehr Menschen an, stärkt seine Reputation und baut ein robustes, zukunftssicheres Corporate Design auf.

Muss inklusives Design hässlich sein?

Nein. Im Gegenteil: Gutes inklusives Design schafft Klarheit, Orientierung und emotionale Verbindung. Es zwingt dazu, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren – und bringt dadurch eine visuelle Klarheit, die viele als ästhetisch empfinden. Schönheit entsteht nicht durch Schnörkel, sondern durch Sinn.

Grundsätzlich gilt: Design hat immer einen funktionalen Zweck – Form Follows Function. Das bedeutet aber bei weitem nicht, dass Funktionalität gleich "öde" oder "hässlich" ist.

Fazit: Inklusives Design ist immer ein Gewinn.

Design, das für alle funktioniert, ist nicht teurer oder komplizierter – es ist schlicht besser. Marken, die inklusives Design ernst nehmen, gestalten nicht nur gerechtere Produkte, sondern sichern sich langfristig einen entscheidenden Vorteil.

Wer Teilhabe gestaltet, gestaltet Zukunft – menschlich, strategisch, stark. Jetzt ist die Zeit, Design neu zu denken – demokratisch, inklusiv und zukunftssicher.

Quellen

WHO – „Disability and Health“
https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/disability-and-health

Neurodiversity Hub – „What is Neurodiversity?“
https://www.neurodiversityhub.org/

Dyslexia International – „About Dyslexia“
https://www.dyslexia-international.org/

Eurostat – „Population structure and ageing“
https://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/

European Accessibility Act – Informationen der Europäischen Union
https://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=1202

Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) – W3C
https://www.w3.org/WAI/standards-guidelines/wcag/

Über den Autor

Hi, ich bin Enrico von cigarsauerkraut. Ich schreibe über Design, digitale Teilhabe und Inklusion – und helfe Marken, ihr strategisches Fundament in zukunftsfähige Designkonzepte zu übersetzen.

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